Vermehrung und Wiederansiedlung gefährdeter Pflanzenarten in der Oberlausitz
Auszug aus der Projektbeschreibung von Lutz Zwiebel, September 2012:
In der gegenwärtigen Agrarpolitik schließen sich Fördermöglichkeiten des Naturschutzes und des ökologischen Landbaus oft aus. Das bedeutet aber nicht, dass in der konventionellen Landwirtschaft der Naturschutz ausreichende Möglichkeiten findet. Es bedeutet auch nicht, dass es innerhalb des ökologischen Landbaus keine Sensibilität für dieses Thema gibt. Für viele Tier- und Pflanzenarten ist das Überleben überhaupt nur auf Flächen möglich, die von Mineraldünger- und PSM- Anwendung ausgenommen sind. Grünland und Ackerflächen des ökologischen Landbaus stellen also wichtige naturnahe Offenlandstandorte dar, deren Bewirtschaftung überhaupt erst Arten- und Biotopschutz ermöglicht.
Das Stadtgut Görlitz wird sich in den nächsten Jahren auf vier ausgewählten Flächen der ökologischen Aufwertung und dem Artenschutz widmen.
Es wurden Acker- und Grünlandflächen ausgewählt, die mit ihrem natürlichen Potential (Konkurrenz-, Licht- und Bodenverhältnisse) Entwicklungsmöglichkeiten und Vermehrung für die angestrebten Arten vermuten lassen. Der Artenschutz soll sich dabei in das bestehende Bewirtschaftungssystem integrieren. Lediglich in der Anfangsphase und im Falle der beabsichtigten Standortveränderung bei (3. Hecke oberhalb Obstplantage Weinhübler Straße) wird eine veränderte Bewirtschaftung vorgeschlagen. Die Pflanzen und Samen werden aus regionalen Wildherkünften vermehrt, ohne die Bestände zu gefährden. Die Auswahl der Arten erfolgt in Zusammenarbeit mit der zuständigen UNB und dem Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz.
Auszug aus dem Sachbericht 2014 von Lutz Zwiebel:
Landeskrone, Ackerrand, Kunnerwitz: Ein grasreicher offener bis halbschattiger SO-exponierter Ackerrand mit Arrhenatherum elatius, Phleum pratense, Poa pratensis, Festuca rubra, Pimpinella saxifraga, Lathyrus sylvestris, Vicia cracca sowie angrenzendem Acker unter biologischer Bewirtschaftung mit standorttypischer Segetalflora. Durch die Nähe zum Basaltkörper des Berges weist der Boden nur schwach saure Werte auf. Für das Gebiet der Landeskrone liegen seit über 200 Jahren floristische Angaben vor. Es gibt historische Belege für Muscari comosum (Kölbing, Flora Lusatica 1825) , mehrere Weinrosen, zu denen auch R.elliptica agg. gehört (Barber 1911, Gebauer 1999), Genista germanica (Büchner nach 2000) und Campanula glomerata (vor 1980). Der Ackerrand befindet sich außerhalb des Schutzgebietes. Er wird zukünftig einmal jährlich (ab August) gemäht, das Schnittgut wird entfernt. 2014 wurden 52 Campanula glomerata, 15 Genista germanica und ca. 50 Muscari comosum gepflanzt. Wie an vielen anderen Standorten kam es hier zu großen Ausfällen bei Campanula glomerata durch Schneckenfraß. Selbst bei ausgewachsenen Rosetten mit Blütenansatz kam es binnen weniger Tage zum Kahlfraß. Kontrollen wurden im Jahresverlauf viermal durchgeführt.
Auszug aus dem Abschlussbericht 2015 von Lutz Zwiebel:
In den Jahren 2013 - 2015 wurden zehn gefährdete Pflanzenarten aus Wildvorkommen vermehrt und an 31 ausgewählten Standorten mit ca. 60 Pflanzstellen in der Oberlausitz angesiedelt. Zudem wurden für alle Arten gärtnerische Sicherungsbestände angelegt und erhalten. [...] Während des gesamten Vorhabens erwiesen sich Schnecken als die wichtigsten Schaderreger. [...] Da Jungpflanzen bei Arten mit langsamer Entwicklung ein sensibles Stadium darstellen, wurden auch mehrfach ausgewachsene Stauden von Campanula glomerata, Carlina acaulis und Cirsium canum mit großen Ballen ausgepflanzt. Diese drei Arten sind so massiv von den Schnecken bedroht, dass es nur in einzelnen Fällen zu Wiederfunden nach Auspflanzungen kam und ein Etablierungserfolg unwahrscheinlich ist. Selbst bei zweijährigen Stauden von Campanula glomerata an Standort 2 [Ein zum Stadtgut gehörender Ackerrand in Kunnerwitz, C.E.] wurden mehr als 25 Schnecken pro Pflanze gezählt, was zum Kahlfraß führte. Diesen Standort prägt ein mesotropher mäßig trockener Ackerrand, der, begünstigt durch hohe Sommerniederschläge, derartige Schneckenpopulationen hervorbringen kann. [...] Methodisch gesehen ist die Pflanzung in der freien Natur nicht für alle Arten sinnvoll. Der höhere Aufwand lohnt sich vor allem bei langlebigen Stauden und Sträuchern , da hier schon wenige gepflanzte Exemplare den Standort jahrelang mit neuem Saatgut versorgen können. [...] Innerhalb der landwirtschaftlichen Nutzflächen bieten Betriebe des ökologischen Landbaus oft gute Möglichkeiten für Artenhilfsprogramme (Elsen 2012). Die Ausweitung dieser Wirtschaftsform bietet dem Artenschutz neue Möglichkeiten.
Die Pflanzen:
Campanula glomerata - Knäuel - Glockenblume
Die Knäuel - Glockenblume war früher an Wegrändern, Triften und auf Magerrasen besonders der südöstlichen Oberlausitz häufig. Sie wurde für Erntesträuße gepflückt und in Gärten kultiviert. Der Rückgang der Art erfolgte in zwei Phasen. Während durch die Intensivierung der Landwirtschaft ab 1960 die Art viele Standorte verlor, wurde sie in den letzten 10 Jahren aus noch ungeklärten Gründen zu einer Seltenheit. Am Standort Steinbachtal wurden im Dezember 2012 noch Samenstände aufgefunden. Sie enthielten genug Saatgut für die Ansaat von drei Paletten. Am Standort Landeskrone wurde die Knäuel Glockenblume 2014 gepflanzt und zwar 30 entwickelte Jungpflanzen aus Paletten Ende April und 22 ausgebildete Exemplare aus Vorjahresanzucht Ende Mai. Selbst die in großen Erdballen verpflanzten Exemplare wurden extrem von Schnecken geschädigt.
Genista germanica - Deutscher Ginster
Ähnlich wie bei Campanula glomerata sind die Bestände von Genista germanica in den letzten Jahren stark rückläufig. Es wurden sechs Standorte aufgesucht, die noch vor wenigen Jahren stabile Bestände aufwiesen. Nur an 3 Standorten wurden noch blühende Pflanzen gefunden. Die übrigen Standorte sind erloschen oder nur noch als vegetative Reste vorhanden. Das Saatgut wurde zur Hälfte mit Sandpapier behandelt (mechanischer Aufschluss der harten Samenschale), um die bei der Gattung Genista oft langwierige Keimung etwas zu verkürzen. Drei Paletten wurden angesät.
Die Keimfähigkeit der behandelten Partie lag mit 20 % nur wenig über der unbehandelten. Während der Ausbildung des ersten Triebes und der Laubblätter starben noch einmal fast die Hälfte der Pflanzen ab.
Bei Beobachtungen an den Freilandvorkommen wurde deutlich, daß ein Triebverbiß durch Rehe im unreifen Samenstadium häufig ist, wodurch das Bild lediglich vegetativen Wachstums entsteht. In diesem Stadium ist das Auffinden der Art bei gleichzeitiger Anwesenheit von Galium mollugo sehr schwierig.
Muscari comosum - Schopfträubel
Von Pflanzen des letzten sächsischen Vorkommens wurden 2004 Samen gesammelt und Erhaltungskulturen im Botanischen Garten der TU Dresden angelegt. Um das Vorkommen nicht weiter zu beeinträchtigen, wurde das von den kultivierten Pflanzen reichlich erzeugte Saatgut verwendet. Die Aussaat erfolgte am 15.3. in sechs Paletten. Die Keimung verlief uneinheitlich, begann aber schon im April. Die Pflanzen bildeten im ersten Jahr nur ein Blatt aus und zogen sich ab 25.6. in die winzigen Zwiebeln zurück. Durch die langsame Jugendentwicklung (lange Sommerruhezeit) sind die Zwiebeln erst nach 4-5 Jahren blühfähig. Die Paletten werden unter Kaltglas überwintert.
Die zweijährigen Zwiebeln sind ungefähr getreidekorngroß. Da sie in Vegetationsruhe kaum Wurzeln besitzen ist ein Auspflanzen der Einzelnäpfe sehr schwierig. Die Weiterkultur bis zum dritten oder vierten Jahr erscheint als die erfolgversprechendste Variante. Deshalb wurden etwa 75% der Ansaaten in Freilandkultur gebracht. Das restliche Viertel (etwa 50 Zwiebeln pro Standort) wurde nach dem vollständigen Einziehen von Blatt und Wurzel an zwei Standorten (Standorte 2 und 19) im September gepflanzt. Problematisch bleibt bei den frühen Auspflanzungen auch die Kontrolle, da die feinen Blätter im Frühjahr leicht übersehen werden. Da der Botanische Garten der TU Dresden Samen- und Brutzwiebelbestände aus seiner Erhaltungszucht dem Wiederansiedlungsprojekt zur Verfügung stellt, werden, im Frühjahr 2015 weitere Ansaaten möglich. Auch eine Auspflanzung blühfähiger Zwiebeln steht somit für den Sommer 2015 in Aussicht.